Mehrere Studien haben in den vergangenen Jahren die verheerende Situation von geflüchteten Kindern in Gemeinschaftsunterkünften aufgezeigt. In einer Studienarbeit beschäftigt Jessica Nagel sich mit der Situation von Kindern, die in Ankerzentren leben müssen und beschreibt, wie dort die Rechte der UN-Kinderrechtskonvention verletzt werden.
Die 1992 von Deutschland ratifizierte UN-Kinderrechtskonvention legt grundlegende Rechte fest, die der Staat allen Kindern ermöglichen muss. Mit Rücknahme einer Vorbehaltsklausel, die das Asylrecht über die Konvention stellte, gilt sie seit 2010 uneingeschränkt auch für geflüchtete Kinder. Betrachtet man jedoch die Zustände in den Ankerzentren, zeigt sich, dass die Realität sehr weit von diesen Rechten entfernt ist.
Es fühlt sich an, als ob die Kinder und Erwachsenen in einem großen Gefängnis wohnen.
Recht auf angemessene Unterkunft
Das Recht auf angemessene Unterkunft der Kinderrechtskonvention bedeutet, dass alle Kinder das Recht haben an einem Ort in Sicherheit, Frieden und Würde gesund und sicher zu leben. In den Ankerzentren teilen sich häufig mehrere, einander fremde Personen Zimmer, Küche und Sanitäranlagen. Da die Räume nicht abschließbar sind, kann selbst der elementare Schutz vor Gewalt nicht gesichert werden. Aufgrund der räumlichen Enge können kleine Streitereien zwischen den Bewohner*innen schnell eskalieren. In anderen Unterkünften, in denen die Räumlichkeiten nicht geteilt werden müssen, gibt es dagegen kaum gewaltvolle Konflikte. Das (Mit)erleben physischer und auch psychischer Gewalt ist insbesondere für Kinder eine große Belastung und kann zu aggressivem Verhalten, Isolation, Angst oder geringem Selbstwertgefühl führen.
Recht auf Gesundheit
Auch dem in der Kinderrechtskonvention festgelegten Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit wird in den Ankerzentren nicht Rechnung getragen. Der Zugang zu ärztlichen Leistungen ist stundenweise begrenzt und oft liegt es in der Hand des Wachpersonals zu entscheiden, wer zu den Ärzt*innen vorgelassen wird und wer nicht. Außerdem befinden sich die Sanitäranlagen zumeist in einem katastrophalen hygienischen Zustand. Eltern berichten von Hautausschlägen und Erkrankungen ihrer Kinder. Eine geeignete Möglichkeit Neugeborene und Kleinkinder zu baden gebe es ebenfalls nicht.
Zudem benötigen insbesondere geflüchtete Kinder therapeutische Begleitung und vor allem ein sicheres Umfeld, in dem sie die erlebten traumatischen Ereignisse verarbeiten können. Die dichte Belegung der Ankerzentren macht es den Kindern jedoch unmöglich sich zurückzuziehen. Gerade ältere Kinder und Jugendliche greifen in Folge dessen schnell zu Drogen, um den engen und bedrückenden Strukturen der Einrichtungen zu entfliehen.
Recht auf Nahrung
Die Kinderrechtskonvention bestimmt, dass Nahrung verfügbar, genießbar, kulturell akzeptabel und den individuellen Bedürfnissen angepasst in ausreichender Menge und Qualität vorhanden sein muss. Das zentrale Cateringsystem der Ankerzentren nimmt weder auf individuelle noch kulturelle Besonderheiten Rücksicht. Viele Kinder verweigern das ungewohnte Essen, weil sie es nicht kennen oder bekommen Verdauungsprobleme. Besonders bei kleinen Kindern kann die unzureichende Essensversorgung bereits nach kurzer Zeit zu langfristigen gesundheitlichen Schäden führen. Auch gibt es das Essen nur zu festgelegten Zeiten und es ist untersagt, etwas mit auf die Zimmer zu nehmen. Für Kinder, aber auch während des Ramadan stellt dies ein großes Problem dar.
Recht auf Förderung
Gerade die frühe Kindheit ist eine hochsensible Entwicklungsphase und „jeder Tag ohne Bildung und Förderung, jeder Tag ohne Wissensvermittlung und soziales Erleben ist ein verlorener Tag“ (UNICEF). Der Besuch von frühkindlichen Bildungsangeboten ist besonders für die geflüchteten Kinder wichtig. Sie müssen in einer Umgebung aufwachsen, die kein richtiges Zuhause ist und besitzen in der Regel wenig Spielzeug oder Zugang zu kindgerechten Räumen. In den Ankerzentren gibt es jedoch kaum Angebote für die Kleinsten. Im Ankerzentrum Bamberg konnte sich ein Spielzimmer etablieren, welches durch den Verein Freund statt Fremd e.V. ehrenamtlich betrieben wird. Den Besuch einer Regelkita ersetzt es allerdings nicht. Ein früher Kitabesuch ist eine wichtige Integrationschance. Die Kinder können dort die deutsche Sprache und Gepflogenheiten erlernen und sich mit deutschen Kindern anfreunden.
Recht auf Bildung
Obwohl in den Aufnahmerichtlinien 2013/33/EU geschrieben steht, dass spätestens drei Monate nach Asylantragstellung der Zugang zu Bildung gewährleistet sein muss, sind in einigen Bundesländern die Ankerzentren explizit von der Schulpflicht ausgenommen. Dort wird eine Art Ersatzunterricht angeboten, im Endeffekt handle es sich dabei aber um ein niedrigschwelliges Spiel- und Beschäftigungsangebot. Besonders älteren Jugendlichen bleibt aufgrund ihres Alters nicht viel Zeit, die Sprache zu erlernen und Schulabschlüsse nachzuholen. Für Kinder und Jugendliche bedeutet der Besuch von Kita und Schule nicht nur ein Stück Normalität, sondern es sind auch wichtige Stationen auf ihrem Zukunftsweg. Sie bieten Sicherheit, Struktur und erleichtern die Integration.
Recht auf Freizeit
Die Kinderrechtskonvention legt die Rechte des Kindes auf Ruhe und Freizeit, Spiel und altersgemäße Erholung fest. In den Ankerzentren gibt es jedoch kaum Freizeitangebote für Kinder und der Zugang zu diesen außerhalb der Einrichtung ist durch die geringen materiellen und finanziellen Mittel sowie die isolierte Lage der Ankerzentren eingeschränkt. Auch bekommen die Kinder so keine Chance, Freundschaften zu einheimischen Kindern zu knüpfen und sich zu integrieren.
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Recht auf Beteiligung
Laut Kinderrechtskonvention müssen Kinder in allen sie betreffenden Angelegenheiten angehört und beteiligt werden. Besonders, wenn es um ihren Alltag geht, sind Kinder und Jugendliche als Expert*innen anzusehen. Sie müssen das Recht haben, ihren Alltag selbst zu gestalten und mitzubestimmen. In den Ankerzentren können die Kinder jedoch weder darüber mitbestimmen, wo sie untergebracht werden, mit wem sie sich ein Zimmer teilen, noch was sie essen oder in ihrer Freizeit tun. Neben der zwangsweisen Unterbringung wird ihnen auch durch den Bezug von Sachleistungen ein entscheidender Teil ihrer Selbstbestimmung genommen.
Die Unterbringung in den Ankerzentren bestimmt nicht nur den Wohnort der Kinder, sondern hat immensen Einfluss auf entscheidende Bereiche ihrer Entwicklung.
Die Unterbringung in den Ankerzentren bestimmt nicht nur den Wohnort der Kinder, sondern hat immensen Einfluss auf entscheidende Bereiche ihrer Entwicklung. Die Rechte der UN-Kinderrechtskonvention werden hierbei weitreichend missachtet. Ihre Einhaltung sollte jedoch in jedem Fall als absolute Pflicht verstanden werden.
Jessica Nagel