Während weltweit immer mehr Menschen auf der Flucht sind, werden die Abwehrmaßnahmen gegen Schutzsuchende in Europa und in Deutschland stetig verschärft. Abschreckung, Festsetzung und Isolierung in Lagern – so lautet die Antwort angesichts der Menschen, die vor Gewalt, Unrecht und Unterdrückung fliehen.
Zweifellos ist es für die Betroffenen ein großer Unterschied, ob sie sich in einem libyschen Folterlager, einem elenden EU-Hotspot oder einem deutschen Ankerzentrum befinden, wo sie sich auf die Einhaltung der Menschenrechte berufen können. Aber ganz gleich um welche Lager es sich handelt: Das Einsperren und Isolieren Schutzsuchender muss ein Ende haben. Lager sind Orte der Kontrolle, der Stigmatisierung, der Entwürdigung und der Gewalt. Es soll verhindert werden, dass die Betroffenen Zugang zu Asyl erhalten. Das gemeinsame Fundament der demokratischen Gesellschaften Europas ist in Gefahr. Die Staaten der Europäischen Union müssen die individuellen Menschenrechte garantieren. Lager sind einer den Menschenrechten verpflichteten Gesellschaft unwürdig.
Ganz gleich um welche Lager es sich handelt: Das Einsperren und Isolieren Schutzsuchender muss ein Ende haben!
Trotzdem wird die Politik der Inhaftierung und Festsetzung Schutzsuchender stetig weiter vorangetrieben. Abwehr und Abschottung kennen keine Grenzen mehr. Staatsruinen wie Libyen und Diktaturen vor Europas Grenzen werden aufgerüstet, um Fluchtwege zu versperren. Aus Seenot Gerettete sollen vor Europas Tore zurückverfrachtet werden. Wer es bis nach Europa schafft, hängt oft unter übelsten Bedingungen in Lagern wie auf Lesbos fest. Den betroffenen Menschen droht die Abschiebung aus der EU ohne inhaltliche Prüfung ihrer Fluchtgründe. Und auch in Deutschland sollen Flüchtlinge kaserniert werden. Wir haben eine Übersicht über die aktuellen und geplanten Lagermaßnahmen in Deutschland, der EU und darüber hinaus erstellt.
Ankerzentren (Ort: Deutschland)
In den von der Bundesregierung geplanten AnkER-(Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückführungs)-Zentren sollen alle in Deutschland ankommenden Flüchtlinge untergebracht werden. Mit dem bis zu 18-monatigen Zwangsaufenthalt in abgeschiedenen Massenunterkünften droht die Isolation mit allen verbundenen Belastungen und Einschränkungen:
- Kontakte zur Bevölkerung und zu ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern werden massiv erschwert;
- Eine unabhängige Beratung gibt es nicht, extrem kurze Fristen im Asylverfahren verhindern die Anrufung von Gerichten;
- Selbst besonders Schutzbedürftige sowie Kinder und Jugendliche sollen in diesen Unterkünften bleiben müssen;
- Das Arbeits- und Ausbildungsverbot verhindert Integration und Selbstbestimmung;
- Perspektivlosigkeit, fehlende Privatsphäre und Verelendung schüren Konflikte
Wem über lange Zeit hinweg Jahre der Zugang zu Schule, Arbeit, neuen Nachbarn und Ehrenamtlichen versperrt wird, der lernt nur schwer die deutsche Sprache, knüpft keine dringend benötigten Kontakte, um richtig in Deutschland anzukommen.
Vorreiter Bayern: Von der Isolation zur Abschiebung
Als Prototyp für die mittelfristig ca. 40 bundesweit geplanten AnkERzentren dienen bayerische Lagereinrichtungen z.B. in Bamberg und Ingolstadt/Manching. Hier werden Flüchtlinge isoliert, um sie zur »freiwilligen Ausreise« zu drängen oder abzuschieben. Es gilt:
- Residenzpflicht
- Arbeits- und Ausbildungsverbot
- Striktes Sachleistungsprinzip
- Eingeschränkte medizinische Versorgung
- Betretungsverbot für ehrenamtlich Helfende
In Planung: Transitverfahren und »besondere Aufnahmeeinrichtungen« (Orte: Deutschland & die EU)
Zunächst lautete der Plan von Innenminister Seehofer, »Transitzentren« an der deutsch-österreichischen Grenze zu schaffen, um in anderen EU-Ländern registrierte Flüchtlinge aufzuhalten und zurückzuweisen. Laut Koalitionsbeschluss wurden daraus »Transitverfahren«: Nun sollen an der deutsch-österreichischen Grenze Asylsuchende ohne weitere Prüfung zurückgewiesen werden. Nicht geprüft wird, ob Familienangehörige in Deutschland leben und deswegen das Asylverfahren hier durchgeführt werden muss. Ebenso wenig wird geprüft, ob im EU-Einreisestaat menschenunwürdige Zustände herrschen, was eine Abschiebung verbieten würde. Die deutsche Bundespolizei agiert in diesen Transitverfahren vorbei am EU-Recht ohne Kontrolle durch die Justiz. Für die Betroffenen ist es faktisch unmöglich, Rechtsmittel einzulegen.Schon heute stellt die Bundespolizei immer mehr Haftanträge für Schutzsuchende, die bereits in anderen EU-Ländern registriert wurden. Nun sollen möglichst alle, auf die dies zutrifft, bis zu ihrer Rückführung in bereits vorhandenen »Besonderen Aufnahmeeinrichtungen« oder in den AnkERzentren isoliert werden.
25.632
Flüchtlinge, die dieses Jahr in Deutschland eingereist sind, wurden in Spanien, Italien oder Griechenland registriert. Sollten die Pläne der Bundesregierung zu den Transitverfahren Wirklichkeit werden, droht diesen Menschen die Zwangsunterbringung. (Stand: 23.8.)
Transitzonen: Orte der Willkür
Anfang März 2017 beschloss die nationalistische flüchtlingsfeindliche Regierungsmehrheit im ungarischen Parlament, Asylsuchende für die Dauer ihres Verfahrens in grenznahen »Transitzonen« festzusetzen. Seitdem können Schutzsuchende nur noch in zwei Transitzonen an der Grenze zu Serbien einen Asylantrag stellen. Seit Januar 2018 wird maximal zehn Asylsuchenden pro Woche Zugang gewährt. Das Ungarische Helsinki Komitee (HHC) musste im August 2018 acht Mal vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg klagen, um die Orbán-Regierung zu verpflichten, Asylsuchende in den Transitzonen mit Nahrung zu versorgen.
Im Herbst 2017 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg ein wegweisendes Urteil zum Konstrukt von Transitzonen: Wenn die Polizei (im verhandelten Fall ging es um die spanische Polizei) in einem Grenzgebiet die Kontrolle habe, dann müssen dort zugleich auch die Standards der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gelten.
An den Außengrenzen der EU wurden seit 2015 zehn EU-Hotspots eingerichtet – jeweils fünf in Italien und in Griechenland. Hier werden ankommende Schutzsuchende registriert und unter elenden Bedingungen festgesetzt. Menschen, die auf ihrer Flucht einen angeblich Sicheren Drittstaat wie z.B. die Türkei durchquert haben, sollen direkt aus den Hotspots wieder abgeschoben werden. Skandalös ist die Einstufung der Türkei als Sicherer Drittstaat: In der Türkei werden Flüchtlinge illegal inhaftiert, drangsaliert und in die Verfolgerstaaten abgeschoben. Um Schutzsuchende aus der EU in die Türkei abschieben zu können, wird die absurde Behauptung, die Türkei sei sicher, aufrechterhalten.
80%
der Flüchtlinge in den griechischen Insellagern kommen aus Kriegs- & Krisengebieten wie Syrien, Afghanistan & Irak.
In den EU-Hotspots wie z.B. Moria auf Lesbos sitzen die Menschen oft Jahre unter elenden Bedingungen fest. Die Verfahren, die in den Hotspots durchgeführt werden, verletzen systematisch die Rechte der Schutzsuchenden sowie rechtsstaatliche Prinzipien.
In Planung: Kontrollierte Zentren (Ort: EU)
Ein weiteres Lagerkonzept – dieses Mal stammt es von allen Europäischen Regierungschefs gemeinsam – sieht die Schaffung »Kontrollierter Zentren« auf dem Gebiet der EU vor. In diesen »Kontrollierten Zentren« sollen gerettete Bootsflüchtlinge festgehalten werden, um zwischen »irregulären Migranten, die zurückgeführt werden, und Personen, die internationalen Schutz benötigen […] zu unterscheiden.« (Tagung des Europäischen Rats, 28. Juni)
Die Funktion der »Kontrollierter Zentren« hat die bereits existierenden Hotspots an den Außengrenzen zum Vorbild. Die systematischen Menschenrechtsverletzungen und elenden Lebensbedingungen in den griechischen EU-Hotspots verdeutlichen, was Flüchtlinge in »Kontrollierten Zentren« zu erwarten haben. Sie dienen der Abschottung und Abschreckung, Flüchtlingsschutz auf europäischem Boden soll möglichst verhindert werden.
In Planung: Ausschiffungsplattformen
(Ort: Nordafrikanische Mittelmeeranrainer)
Die »Ausschiffungsplattformen« sollen ähnlich funktionieren wie die »Kontrollierten Zentren« innerhalb der EU. Der entscheidende Unterschied: Mit den »Ausschiffungsplattformen« will die Europäische Union die Verantwortung nach Nordafrika verlegen. Bootsflüchtlinge, die im Mittelmeer gerettet werden, sollen in dort befindliche »Ausschiffungsplattformen« gebracht werden, wo dann darüber entschieden wird, wer internationalen Schutz erhält und wer nicht.
Es ist ungewiss, in welchen Ländern selbst die vermutlich wenigen Menschen, denen überhaupt ein solcher Schutz zugesprochen würde, Aufnahme fänden. Eine Bereitschaft dazu ist europaweit kaum vorhanden. Deutlich wurde bereits: »Ausschiffungsplattformen« sollen keinesfalls Anreize erzeugen – heißt: Diese Lager sollen Flüchtlinge bereits weitab von Europa entfernt wirkungsvoll abschrecken.
Externalisierung (Ort: Niger, Sahelzone)
Bereits im Oktober 2016 besuchte Bundeskanzlerin Merkel Niger. Dort legte sie gegenüber Präsident Issoufou die Schwerpunkte einer möglichen Zusammenarbeit fest: »Der erste dieser Schwerpunkte ist der Kampf gegen die illegale Migration.« In der Folge sagte die EU Niger 1 Milliarde Euro Entwicklungshilfe für den Zeitraum zwischen 2017 und 2020 zu. Das Ergebnis: Seit einiger Zeit hat Niger die zentrale Fluchtroute über Agadez durch die Sahara geschlossen. Das erklärte Ziel der EU ist es, so die Flucht aus der Sahelzone und den subsaharischen Staaten zu unterbinden.
Das erklärte Ziel der EU ist es, schon die Flucht aus der Sahelzone und den subsaharischen Staaten zu unterbinden.
Da die EU-Staaten gleichzeitig die Flucht über das Mittelmeer massiv erschwert haben, geht nun Algerien, das direkte Nachbarland Nigers, gegen Flüchtlinge vor. Von August 2017 bis Juni 2018 mussten annähernd 15.000 Menschen das Land in Richtung Niger verlassen. Viele von ihnen wurden mit Lastwagen deportiert und in der Wüste ausgesetzt. Zahlreiche Menschen kamen bei den Gewaltmärschen durch die Wüste ums Leben. Die EU erklärte dazu, » … das Vorgehen Algeriens (sei) bekannt, doch könnten souveräne Staaten Migranten ausweisen, so lange sie sich an internationales Recht hielten.«
Lager in Libyen
In libyschen Gefängnissen kommt es laut UN-Berichten zu Folterungen, Vergewaltigungen und Morden. Die Zahl der inhaftierten Flüchtlinge ist von 4.400 im März 2018 auf über 10.000 Ende Juli 2018 gestiegen, unter ihnen befinden sich rund 2.000 Frauen und Kinder. Die meisten dieser Menschen sind Opfer der schändlichen Kooperation der EU mit der so genannten libyschen Küstenwache. Diese wird von Deutschland und der EU ausgebildet, ausgestattet und finanziert.
Die europäischen Regierungen wissen genau, was in den libyschen Gefangenenlagern vor sich geht: »Eine Form dieser äußerst schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen in privaten und libyschen Auffanglagern ist der faktische Verkauf von Flüchtlingen auf libyschen Sklavenmärkten …« (Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage, BT-Drucksache 19/1146)
In Planung: Rückkehrzentren (Ort: Außerhalb der EU)
Hier handelt es sich um ein Zukunftskonzept der EU-Ratspräsidentschaft Österreichs, das vor allem bei rechtsnationalistischen Hardlinern großen Anklang findet: Auf dem Boden der EU sollen überhaupt keine Asylanträge mehr akzeptiert werden. Geplant wird stattdessen, Flüchtlinge außerhalb der EU in so genannten Rückkehrzentren festzusetzen.
Das Ziel ist eindeutig: Für schutzsuchende Menschen soll es in Europa nirgendwo mehr Asyl geben.
Betroffen von einer solchen Festsetzung wären »eine große Zahl von derzeit de facto nicht abschiebbaren Personen […] etwa auch Menschen, die einen Antrag auf Bleiberecht gestellt haben.« In die Rückkehrzentren sollen aus dem EU-Hoheitsgebiet auch »abgewiesene Ausländer gebracht werden, so es – etwa mangels Kooperationsbereitschaft des Herkunftsstaates oder der betreffenden Person selbst – unmöglich ist, sie in ihre Heimat zurückzuschicken.« Das Ziel ist eindeutig: Für schutzsuchende Menschen soll es in Europa nirgendwo mehr Asyl geben.
#NichtMeineLager!
Gib jetzt dein Statement ab!
1. Flüchtlinge und Migrant*innen dürfen nicht entrechtet und in Lagern isoliert oder gar inhaftiert werden – ob in Deutschland, der Europäischen Union oder außerhalb der EU.
2. Menschen, die an der Grenze eines EU-Staates Asyl beantragen, müssen Zugang zu einem fairen Asylverfahren in der Europäischen Union haben.
3. Aus Seenot Gerettete müssen in einen sicheren europäischen Hafen gebracht werden. Ihre Menschen- und Flüchtlingsrechte sind zu garantieren
4. Angekommenen Schutzsuchenden muss nach humanitären und familiären Kriterien die zügige legale Weiterreise innerhalb der EU ermöglicht werden.