Warum es in der Freiburger Landeserstaufnahmeeinrichtung nicht um eine erste Registrierung geht und wieso die planmäßige Einschränkung von Grund- und Menschenrechten ein demokratisches Grundprinzip unterläuft. Einblicke in die Funktionsweise eines Lagers.
Baden-Württemberg hat als erstes Bundesland am 15. September 1980 Sammellager für Geflüchtete eingerichtet. Nach und nach wurden sie zum bundesdeutschen Vorbild. 40 Jahre danach haben Lager Hochkonjunktur – auch im Ländle.
Freiburger Zustände
Freiburg hat seit Mai 2018 eine neue Landeserstaufnahmeeinrichtung auf dem Gelände einer alten Polizeiakademie. Bis zur Fertigstellung weiterer Bauabschnitte soll die Einrichtung ab 2020 bis zu 800 Menschen Platz bieten. Im Notfall kann die Einrichtung auf 1800 Plätze erweitert werden. Bereits 2014 stimmte der Gemeinderat mehrheitlich für die Errichtung des Lagers. Lange vor Masterplänen und AnkER-Zentren war den Verantwortlichen schon 2014 bewusst, dass die Einrichtung einen extra Polizeiposten auf dem Gelände erhält und eine Beschulung der Kinder „wegen der kurzen Verweildauer nicht vorgesehen ist.“
Damals ging man noch von einer maximalen Verweildauer von drei Monaten aus. Mittlerweile wird die gesetzlich festgelegte Verpflichtung, bis zu sechs Monate in der Einrichtung zu leben, häufig überschritten. Baden-Württemberg wird voraussichtlich bald eine Öffnungsklausel verabschieden, die es ermöglicht, Geflüchtete bis zu 24 Monate in solchen Großlagern unterzubringen. Bislang sind nur bestimmte Geflüchtete, wie zum Beispiel Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern, verpflichtet, ohne festgelegte Frist bis zum Abschluss ihres Verfahrens in Erstaufnahmeeinrichtungen zu leben.
Eigentlich sind Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg nach der Erstaufnahme für die sogenannte vorläufige Unterbringung und Anschlussunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften oder Wohnungen zuständig. 2014 sah die Stadt mit der Einrichtung die Möglichkeit, dass nicht mehr Geflüchtete den ohnehin angespannten Wohnungsmarkt „belasten“. Durch die vorhandene Erstaufnahmeeinrichtung entledigt sich die Stadt der Pflicht, weitere Geflüchtete aufzunehmen (sog. Vollprivilegierung). Sie muss nur in Ausnahmefällen Geflüchtete langfristig in der Stadt unterbringen.
Viele Geflüchtete berichten, dass es im Lager keine Privatsphäre gebe. Die Zimmer sind nicht abschließbar. Es herrscht ein Klima der Angst.
Es zeigt sich, dass schon damals kaum Bedenken hinsichtlich solcher Großlager bestanden. Vielmehr herrschte nahezu politische Einigkeit darüber, dass Freiburg sich durch die Erstaufnahme der Verantwortung einer humanitären Flüchtlingsaufnahme stellt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass anstatt der alten Abkürzung „LaSt“ (Landeserstaufnahmestelle) neuerdings „LEA“ (Landeserstaufnahmeeinrichtung) verwendet wird. Auf den ersten Blick ein schön klingender Name, doch der Schein trügt.
Die Sicht der Bewohner*innen
Die Stimmen der Bewohner*innen in der Debatte um solche Lager werden selten gehört. Fragt man sie in Freiburg nach ihrer derzeitigen Lebenssituation, ist die Fassade eines humanitären Lagers kaum noch zu halten. Angesprochen auf ihre größten Probleme äußern viele, dass sie schnellstmöglich in ein kleineres Camp oder lieber eine eigene Wohnung ziehen möchten und arbeiten wollen. Erst bei näherem Nachfragen berichten sie von der verbotenen Selbstversorgung, den regelmäßigen Zimmerkontrollen oder den nächtlichen Abschiebungen, bei denen alle Bewohner*innen mitten in der Nacht aus den Betten geholt werden – unabhängig davon, ob sie abgeschoben werden sollen oder nicht.
„Das ist symptomatisch: Nur selten sind Geflüchtete ausreichend über den Stand ihres Asylverfahrens informiert worden“, so ein Sprecher von Aktion Bleiberecht, einer Freiburger Initiative. Konkret dürfen Geflüchtete, solange sie in der Einrichtung leben, nicht arbeiten und die Stadt Freiburg nur auf Antrag verlassen. Viele Geflüchtete werden zu Arbeitsgelegenheiten für 80 Cent die Stunde im Lager verpflichtet. Durch diese bundesgesetzliche Regelung erhalten Geflüchtete, bei einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden, im Monat 64 Euro. Die Bewohner*innen werden so zu billigen Arbeitskräften degradiert und der Lageralltag kann kostensparend aufrechterhalten werden.
Konkret dürfen Geflüchtete, solange sie in der Einrichtung leben, nicht arbeiten und die Stadt Freiburg nur auf Antrag verlassen. Viele Geflüchtete werden zu Arbeitsgelegenheiten für 80 Cent die Stunde im Lager verpflichtet.
An den Ein- und Ausgängen finden Taschen- und Ausweiskontrollen mithilfe eines speziell eingerichteten Lagerausweises statt – ein schlichter Barcode auf einem Blatt Papier. Daraus werden Anwesenheitsprofile erstellt, damit zu jeder Zeit nachverfolgt werden kann, wer wann das Lager betreten oder verlassen hat. Bei der Leistungsbeschreibung konkretisiert das Regierungspräsidium als zuständige Behörde, dass selbst die Mahlzeiten personengenau im Verwaltungsprogramm zugeordnet werden müssen. Dieser Einblick ließe sich weiterführen, er zeigt aber deutlich unter welchen massiven Restriktionen die Bewohner*innen leben müssen.
Fragwürdige Praxis
Doch nicht nur die Bewohner*innen, sondern auch andere Institutionen werden in unnötige und widersprüchliche Situationen gebracht. Zum Beispiel begleitet die Polizei regelmäßig die Zimmerkontrollen. Sie agiert damit nicht mehr als letzte staatliche Instanz, sondern per se vorab ohne polizeirechtlichen Auftrag. Es stellt sich die Frage mit welcher Begründung die Kontrollen durchgeführt werden. In der Hausordnung des Freiburger Lagers werden Privaträume explizit als Wohnungen im rechtlichen Sinne anerkannt. Dies deckt sich mit unterschiedlichen Rechtsgutachten, die belegen, dass die im Grundgesetz verankerte Unverletzlichkeit der Wohnung auch auf Privaträume in Sammelunterkünften anzuwenden ist.
Bewohner*innen berichten jedoch, dass die Polizei durchaus auch die Schlafräume betritt. Dabei kam es bereits zu Übergriffen. Die lokale Presse übernimmt dabei, wie die meisten Medien bei der verhinderten Abschiebung in Ellwangen auch, ohne eigene Recherche die Aussagen der Polizei. Dies ist insofern bedenklich, weil sich die Ereignisse aus Sicht der Bewohner*innen ganz anders darstellen. Doch für diese Zwischentöne ist in der aktuellen Berichterstattung kaum Platz. Vielmehr wird dadurch das Stereotyp des „kriminellen Flüchtlings“ reproduziert ohne zu hinterfragen.
Die Buschtrommeln werden in Afrika signalisieren – kommt nicht nach Baden-Württemberg, da müsst ihr ins Lager.
Die eigentlichen Funktionen dieser Lager
In Erstaufnahmeeinrichtungen geht es dabei nicht nur um eine erste Registrierung der Geflüchteten und die Bereitstellung angemessener Unterstützungsleistungen. Lothar Späth, ehemaliger baden-württembergischer Ministerpräsident, formulierte es 1982 offen rassistisch: „Die Buschtrommeln werden in Afrika signalisieren – kommt nicht nach Baden-Württemberg, da müsst ihr ins Lager.“ So ähnlich stand es auch noch bis 2013 in der bayrischen Asyldurchführungsverordnung: Die Unterbringung in Flüchtlingslagern soll „die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“.
2017 beschreibt das Bundeskanzlerin Merkel wie folgt: „Wir arbeiten daran, dass Rückführungen möglichst aus den Erstaufnahmeeinrichtungen erfolgen können; denn wir wissen: Wenn Menschen erst einmal durch ehrenamtliche Helfer in Kommunen integriert werden, dann ist die Rückführung sehr viel schwerer und schwieriger.“
Eine zivilgesellschaftliche Kontrolle wird dadurch aktiv verhindert. In Freiburg besteht ein Besuchsverbot, Ehrenamtliche erhalten nur auf Antrag in einem langwierigen Prozess Zugang zur umzäunten Einrichtung. Der politische Druck wird derart forciert, dass Asylverfahren in solchen Einrichtungen bald innerhalb von 24-Stunden abgefertigt werden sollen. In Heidelberg wird ein solches Modellverfahren mit Verfahrensstraßen bereits durchgeführt. Damit lässt sich zeigen, dass es den Verantwortlichen um Abschreckung, Zentralisierung und rechtlich fragwürdiger Beschleunigung der Asylverfahren sowie Vereinfachung von Abschiebungen geht – und nicht um eine Erstaufnahme.
Mach mit!
Setze ein Zeichen gegen diese unwürdige Unterbringung. Sag klar und deutlich: Das sind #NichtMeineLager!
Missachtung eines demokratischen Grundprinzips
Zurück nach Freiburg. Die Inbetriebnahme des Lagers findet ohne große gesellschaftliche Reaktion statt. Kein Aufschrei, kaum Protest. Stattdessen rühmen sich die Verantwortlichen beim Tag der offenen Tür selbst für die „tolle Zusammenarbeit“. Am Ende steht jedoch die Erkenntnis, dass im Lager Grundrechte vieler hier lebender Menschen bewusst und planmäßig unterlaufen werden. Damit wird eine rote Linie überschritten. Es ist eine Grundvoraussetzung für funktionierende Demokratien, dass alle Menschen die gleichen Grundrechte wahrnehmen können – unabhängig von Hautfarbe, Herkunft oder Pass. Das muss auch für Bewohner*innen von Landeserstaufnahmeeinrichtungen gelten.
Solidarische Gegenstrategien gefragt
In Freiburg gab es bereits Ideen für ein solidarisches Wohnprojekt auf dem jetzigen Lagergelände. Als 2014 das Gelände leer stand, formierte sich eine Basisinitiative, die dort dauerhaft bezahlbaren Wohnraum für Geringverdienende, Familien und Geflüchtete schaffen wollte. „Wohnen statt Lager“ war das Motto, das Ziel ein aktives und gemeinschaftliches Zusammenleben. Es gilt diese Projekte und Ideen wieder aufzugreifen und zu stärken. Menschen in Lagern unterzubringen hat eine gefährliche Normalität erreicht. Es wird Zeit, dass Rechte für alle gelten und Solidarität wieder Konjunktur hat.
Text: LEA-Watch Freiburg (www.leawatch.blogsport.eu)